Headsets im Betrieb: Mitbestimmung auch ohne Aufnahme

Darf ein Arbeitgeber Headsets einführen, mit denen Vorgesetzte Gespräche der Mitarbeitenden mithören können – ohne die Zustimmung des Betriebsrats? Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat in seinem Beschluss vom 16. Juli 2024 (Az. 1 ABR 16/23) hierzu eine klare Antwort gegeben: Nein, das geht nicht ohne Mitbestimmung. Der Beschluss sorgt für Klarheit in einer zunehmend digitalisierten Arbeitswelt und hat weitreichende Bedeutung – nicht nur für den Einzelhandel, sondern für alle Branchen, in denen Kommunikation über technische Systeme erfolgt.

Worum ging es?

Ein großes Textilunternehmen hatte für die interne Kommunikation in seinen Filialen ein Headset-System eingeführt. Alle Mitarbeitenden einer Filiale, die ein Gerät tragen, sind damit in einer „Konferenz“ verbunden – das heißt: Gesprochenes wird in Echtzeit an alle aktiven Geräte übertragen. Technisch ist keine Gesprächsaufzeichnung möglich, aber Vorgesetzte können jederzeit live mithören, was in der Filiale gesagt wird.

Der örtliche Betriebsrat sah darin eine unzulässige Überwachung und forderte, dass die Nutzung ohne seine Zustimmung unterlassen werde. Er argumentierte: Das System sei mitbestimmungspflichtig – schließlich ermögliche es eine Überwachung der Arbeitnehmenden. Die Arbeitgeberin verwies dagegen auf eine bereits abgeschlossene Vereinbarung mit dem Gesamtbetriebsrat.

⚖️ Was hat das Bundesarbeitsgericht entschieden?

Das BAG gab beiden Seiten teilweise recht – und schuf gleichzeitig eine wichtige arbeitsrechtliche Klarstellung:

  1. Ja, ein Mitbestimmungsrecht besteht. Das Headset-System ist eine technische Überwachungseinrichtung im Sinne von § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG. Dass keine Gespräche gespeichert werden, spielt dabei keine Rolle. Entscheidend ist, dass Vorgesetzte in der Lage sind, live mitzuhören, was gesagt wird. Das genügt, um einen „Überwachungsdruck“ auszulösen, der das Persönlichkeitsrecht der Beschäftigten beeinträchtigen kann.
  2. Aber: Zuständig ist der Gesamtbetriebsrat, nicht der örtliche Betriebsrat. Weil das System zentral eingeführt, betreut und gewartet wird – in diesem Fall durch eine IT-Abteilung in Dublin – und in allen Filialen einheitlich zum Einsatz kommt, handelt es sich um eine unternehmenseinheitliche Angelegenheit. Eine lokale Regelung durch einzelne Betriebsräte ist in diesem Fall nicht möglich oder praktikabel.

📢 Warum ist das Urteil so wichtig?

Mit dem Beschluss stärkt das BAG erneut die Schutzfunktion des Mitbestimmungsrechts bei digitalen Kommunikationstechnologien – und geht dabei mit der Zeit. Auch ohne Datenaufzeichnung kann bereits die Möglichkeit des Mithörens zu einer erheblichen Beeinträchtigung führen. Die Entscheidung macht deutlich: Technische Überwachung beginnt nicht erst mit der Speicherung, sondern bereits mit der Echtzeit-Übermittlung von Informationen.

Zudem erinnert das Gericht daran, dass sich die Zuständigkeit für Mitbestimmung nicht allein danach richtet, wo ein System genutzt wird, sondern wie es technisch organisiert ist. Wenn zentrale Steuerung und unternehmensweite Einführung vorliegen, ist der Gesamtbetriebsrat gefragt.

Fazit

Headsets im Betrieb sind nicht harmlos – zumindest nicht aus Sicht des Mitbestimmungsrechts. Auch wenn keine Daten gespeichert werden, kann ihre Nutzung mitbestimmungspflichtig sein, sobald eine Überwachungsmöglichkeit besteht. Arbeitgeber sollten frühzeitig klären, ob Betriebs- oder Gesamtbetriebsrat zuständig ist, und entsprechende Beteiligungsrechte wahren.

Der Beschluss 1 ABR 16/23 schafft hier Rechtssicherheit – und legt die Messlatte für zukünftige technische Systeme hoch: Wo Kontrolle möglich ist, braucht es Mitbestimmung. Punkt.

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