Das Bundesarbeitsgericht (BAG, Beschluss vom 16.07.2024, Az. 1 ABR 16/23) hat entschieden, dass der Einsatz eines Headset-Systems in einem Unternehmen des Bekleidungseinzelhandels eine technische Überwachungseinrichtung im Sinne des § 87 Abs. 1 Nr. 6 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) darstellt. Damit unterliegt dessen Einführung und Nutzung der Mitbestimmung des Betriebsrats.
Dieser Beschluss ist von großer Bedeutung für Unternehmen, die digitale Kommunikationssysteme einsetzen, da es klare Grenzen für die Nutzung solcher Technologien im Arbeitsumfeld setzt.
Hintergrund des Falls
Die Arbeitgeberin betreibt mehrere Filialen und hatte ein Headset-System eingeführt, mit dem die Mitarbeiter innerhalb einer Filiale in einer offenen „Konferenz“ kommunizieren konnten.
✔ Die Besonderheit:
- Alle Führungskräfte und bestimmte Mitarbeiter waren zur Nutzung verpflichtet.
- Die Gespräche wurden nicht aufgezeichnet, waren aber für andere Nutzer im System hörbar.
- Die Headsets waren nicht personalisiert, sondern wurden täglich zufällig verteilt.
Der Betriebsrat sah hierin eine Möglichkeit zur Überwachung des Verhaltens und der Leistung der Arbeitnehmer und forderte ein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG.
Nachdem das Arbeitsgericht Dresden und das Landesarbeitsgericht Sachsen die Klage abgewiesen hatten, legte der Betriebsrat Rechtsbeschwerde beim Bundesarbeitsgericht (BAG) ein.c
BAG-Entscheidung: Headset-System als Überwachungswerkzeug
Das BAG entschied zugunsten des Betriebsrats und stellte fest, dass das Headset-System:
✔ Eine technische Überwachungseinrichtung darstellt
- Die Möglichkeit, dass Vorgesetzte jederzeit Gespräche mithören können, führt zu einem permanenten Überwachungsdruck.
- Arbeitnehmer haben keine Möglichkeit, sich dieser Kontrolle zu entziehen, selbst wenn keine Gespräche aufgezeichnet werden.
✔ Das Persönlichkeitsrecht der Arbeitnehmer berührt
- Durch die Echtzeit-Übertragung aller Gespräche an andere Nutzer kann das Verhalten jedes Mitarbeiters kontinuierlich beobachtet werden.
- Führungskräfte könnten durch Dienstpläne oder Stimmen Rückschlüsse auf individuelle Mitarbeiter ziehen.
✔ Der Gesamtbetriebsrat zuständig ist
- Da das Headset-System unternehmensweit eingeführt wurde und über eine zentrale IT-Abteilung verwaltet wird, liegt die Mitbestimmung beim Gesamtbetriebsrat – nicht bei einzelnen Betriebsräten.
Das BAG lehnte jedoch die Rechtsbeschwerde des Betriebsrats ab, weil dieser fälschlicherweise sich selbst als zuständiges Mitbestimmungsgremium sah.
Welche Folgen hat das Urteil für Unternehmen?
✔ Mitbestimmung ist Pflicht
- Unternehmen dürfen keine Kommunikationssysteme einführen, die zur Leistungs- oder Verhaltenskontrolle geeignet sind, ohne den Betriebsrat einzubeziehen.
✔ Überwachung muss begrenzt werden
- Systeme, die ein ständiges Mithören ermöglichen, sind kritisch zu bewerten.
- Unternehmen sollten alternative Lösungen in Betracht ziehen, die keine Überwachungsängste erzeugen.
✔ Schulung der Führungskräfte erforderlich
- Führungskräfte sollten für den Umgang mit digitalen Kommunikationssystemen sensibilisiert werden, um Datenschutz und Persönlichkeitsrechte der Mitarbeiter zu wahren.
Unser Beratungsangebot
Digitale Überwachungstechnologien sind rechtlich komplex und können erhebliche arbeitsrechtliche Konsequenzen haben. Wir stehen Ihnen gern beratend zur Seite, um rechtssichere Lösungen für die Einführung von Kommunikationssystemen zu entwickeln.